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Wenn 100 Prozent nicht genug sind und der Kunde mit Mangel droht

„Wir müssen die Gutachtenerstattung unterbrechen, weil wir den Kostenvorschuss erneut überschreiten. Grund ist die Anzahl von 321 Beanstandungen, die wir an den insgesamt 28 Holzfenstern begutachten sollen. Wir erwarten einen Umfang des Gutachtens von ca. 300 Seiten mit ca. 500 Bildern. Aufgewendet haben wir bereits einschließlich zwei Ortsterminen ca. 80 Stunden. Wir erwarten einen weiteren Zeitaufwand von noch 15 Stunden. Hinzu kommen die stark angewachsenen Nebenkosten. Derzeit gehen wir davon aus, dass ein Kostenvorschuss von ca. 11.000 € erforderlich wird.“

Bildnachweise: HKH Saar

Diese Nachricht eines Bau-Sachverständigen in einem selbstständigen Beweisverfahren ans Gericht wird jeden Wohnhandwerker  nervös machen. Es geht um viel Geld, hier um einen Auftragswert von rund 50.000 €, und um enormen Zeitaufwand. Der Sachmangel hat im Werkvertragsrecht eine zentrale Bedeutung und ist Anlass für das kostspielige Tätigwerden von Sachverständigen und für risikoreiche Auseinandersetzungen vor Gericht. Im unserem Holzfenster-Fall hat man zudem eine Konstellation, wie sie häufig vorkommt: Der Wohnhandwerker sitzt zwischen den Stühlen. Er erhält die Reklamation seines Endkunden und muss diese weiterleiten an seinen Lieferanten, der die unterschiedlichen Spaltmaße zwischen den Fensterflügeln als Feuchteschaden in der Verantwortung des Kunden sieht.

Die Herstellung und Lieferung der Holzfenster ist als Werklieferungsvertrag zu werten. Der Hersteller bringt auf seinen fertigen Fenstern einen umfangreichen Aufkleber an mit „Wichtige Informationen für Bauherren!“ Darin teilt er unter anderem mit: „Das Einlagern von Elementen in offenen Rohbauten ist zu vermeiden. Die hohe Luftfeuchtigkeit und die starken Temperaturunterschiede (Kondensationsfeuchte!) können zu Lack- und Holzbeschädigungen führen, die unsere Gewährleistung nicht abdeckt!“ Wenn dann etwa die Fenster im Juli eingebaut werden und die Bauherrn tatsächlich erst im Februar des nächsten Jahres einziehen, kann es durchaus zu Feuchtigkeitsschäden kommen. Doch wem sind sie anzulasten? Das Gesetz ist eindeutig: Die Beweislast verteilt sich je nachdem, ob eine Abnahme stattgefunden hat oder nicht. Bis zur Abnahme, der wie auch immer gearteten Erklärung des Bauherrn, das Werk sei vertragsgerecht hergestellt, liegt die Beweislast für das Fehlen eines Sachmangels beim Wohnhandwerker, nach der Abnahme für dessen Vorhandensein beim Bauherren! Und das macht einen großen Unterschied in unserem Fall: Ohne eindeutige Abnahme muss der Wohnhandwerker gegenüber dem Bauherrn beweisen, dass die verzogenen Fensterflügel aus fehlerhafter Produktion resultieren. Eindeutig ist eine Abnahme schon mal nicht, nur weil die Bezahlung einer Rechnung durch den Bauherrn auch als Abnahmeerklärung zu verstehen sei. Auf der anderen Seite ist mit Ablieferung der Fenster beim Wohnhandwerker der Hersteller fein raus; denn er kann sich auf die ungünstigen Umweltverhältnisse auf der Baustelle berufen und der Wohnhandwerker muss ihm beweisen, dass produktionsbedingte Fehler vorliegen!

Erste Erkenntnis: Die Abnahme entscheidet, wer was beim Sachmangel beweisen muss! Den höchsten Beweiswert hat ein vom Auftraggeber unterschriebenes Abnahmeprotokoll!

Nehmen eigentlich die Mangelrügen zu? Werden die Kunden wirklich immer kritischer? Viele Wohnhandwerker sind  dieser Überzeugung. Denn zahllose Formate im Fernsehen vermitteln den Kunden Beispiele über Pfusch am Bau oder die Abzocke bei Serviceleistungen. Für den Handwerker steht dann fest: „Die wollen sich nur das Geld sparen und beschreiten den dritten Weg der Baufinanzierung: Die wollen einfach nicht zahlen.“ Das müsste zu mehr Gerichtsprozessen führen, was sich nicht belegen lässt. Denn die Zahl der Zivilprozesse ist in Deutschland seit Jahren rückläufig, die Eingänge bei Landgerichten in Deutschland in erster Instanz fielen von 358.792 im Jahr 2013 auf 307.718 im Jahr 2017. Bei saarländischen Gerichten gingen in Zivilsachen (ohne Familiensachen) die Klagen um 16 % zurück. Auch die Sachverständigen, zumindest im Bereich des Wohnhandwerks, haben in der Summe nicht mehr zu tun als vor 20 Jahren, sondern eher weniger. Dennoch gibt es tatsächlich immer wieder besonders kritische Kunden. Manchmal spürt man das schon sofort und sollte die Finger vom Auftrag lassen. Oder kann man sich vorher durch Beratungsgespräche absichern. Mit anderen Worten: Wie viele Hinweise muss man als Wohnhandwerker eigentlich geben?

Ein schönes Beispiel dafür liefert folgender Fall einer Kunststoff-Haustür mit vollflächiger Aluverblendung auf der Außenseite. Der Kunde reklamiert, dass sich die Tür bei Wärme und Sonnenbestrahlung verzieht und sich dann nur mit erheblichem Druck schließen lässt. Die Haustüre sei als solche ungeeignet und instabil. Er fordert den Austausch der Haustür. Das gerichtliche Sachverständigengutachten stellt fest, dass die Haustüre nachmittags ab ca. 16:30 Uhr voll in der Sonne liegt. Im Schatten liegend sind an der Tür keine Funktionsbeeinträchtigungen zu erkennen. Grundsätzlich könne es aber bei hohen Außentemperaturen und unter direkter Sonneneinstrahlung zum sogenannten Bi-Metall-Effekt und damit zu Funktionsbeeinträchtigungen kommen. Um das sogenannte Fallenspiel zu verbessern, müsse der schlossseitige Rahmen oben etwas weiter nach innen montiert werden. Die Kosten für die insoweit notwendigen Arbeiten beziffert der Sachverständige auf netto 300 €. Die verhängnisvolle Erwähnung des sogenannten Bi-Metall-Effekts verleitet den Anwalt des Kunden dazu, weiter davon auszugehen, dass die eingebaute Haustüre grundsätzlich ungeeignet sei für den Einbau an der aktuellen Stelle mit intensiver Sonnenbestrahlung im Sommer. Würde dies stimmen, müsste ein Schreiner Feststellungen darüber treffen, welchen bauphysikalischen Einflüssen zu welcher Jahreszeit eine Haustür ausgesetzt sein könnte und dann die Kunden dazu beraten, ob eine Kunststofftür mit einer äußeren Alu-Verblendung unter Berücksichtigung dieser Faktoren ungeeignet sein könnte. Der Sachverständige ergänzt jedoch zum Glück seine Ausführungen: „Die Einschränkung, wonach die Tür gegebenenfalls nachjustiert werden muss, bedeutet nicht, dass die Tür nicht für den konkreten Einsatzzweck geeignet wäre. Vielmehr muss bei einer Haustür eben immer eine regelmäßige Wartung vorgenommen werden.“

War also in diesem Fall kein genereller Mangel vorhanden und ein Hinweis nicht notwendig, verlangt die DIN 18356 Parkettarbeiten unter Ziffer 3.1.5, dass der Wohnhandwerker seinem Auftraggeber schriftliche Pflegeanweisungen zu übergeben hat. Diese müssen auch Hinweise auf das zweckmäßige Raumklima enthalten.

Wenn hochwertiges geöltes Fertigparkett vollflächig geklebt verlegt wird, kann es passieren, dass die Kunden einfach irgendeine Parkettpflege zur Reinigung benutzen und nach einer gewissen Benutzungsdauer zum Schluss kommen, ihr schöner Parkettboden sei eigentlich nicht schmutzunempfindlich und für Haustierhaltung sowie häufiges Betreten mit Schuhen nicht geeignet. Schon hat man ein neues Verfahren am Hals. Zur Schadensbegrenzung geht man dann eben hin, nimmt eine Grundreinigung vor und eine neue Einpflege mit dem richtigen Pflege-Öl. Zur späteren Unterhaltspflege übergibt der Wohnhandwerker schließlich die notwendigen Pflegeanweisungen und am besten noch ein Muster des Pflegemittels. Man hätte es auch einfacher haben können.

Zweite Erkenntnis: Die Beschreibung für das bestellte Werk sollte gerade gegenüber Verbrauchern ausführlicher sein als gegenüber fachlich versierten Kunden. Pflege- und Wartungshinweise sollten selbstverständlich sein. Hinweise von Vorlieferanten unbedingt übernehmen!

Dies zeigt folgender Treppenfall: Verfärbungen in Eichenholz, nicht ganz so selten hervorgerufen durch den  technischen Trocknungsprozess, sind eigentlich unvermeidbar. Werden die Holzbohlen dann aufgeschnitten, sieht man dunklere Stellen im Holz, die je nach Oberflächenbehandlung mehr oder weniger deutlich hervortreten. Eigentlich sind sie gewissermaßen Ausdruck der natürlichen Holzstruktur und der typische Fall einer hinzunehmenden Unregelmäßigkeit. Nach deren Definition handelt es sich eben nicht um einen Mangel. Meist geht es um optische Beanstandungen, die man nur bei intensiver Betrachtung erkennt und von denen keine Störwirkung ausgeht. Die Übernahme des Hinweises des Holzlieferanten, dass diese Verfärbungen keinen Reklamationsgrund darstellen, würde gegenüber dem meist empfindlicheren Endkunden weiterhelfen. Hat sich dessen Auge erst an dem vermeintlichen Mangel festgebissen, ist plötzlich eine ansonsten perfekte Geschosstreppe „absolut nicht das, was man sich vorgestellt hat.“ Im Ergebnis gewährt der Handwerker dann zähneknirschend einen nicht unbeträchtlichen Preisnachlass, weil Nacharbeit keine Besserung bringen würde und ein Austausch der Treppe unverhältnismäßig wäre. Jedenfalls hat man dann seine Ruhe.

Am schmerzfreiesten lässt sich eine Klärung im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens über die jeweilige Innung herbeiführen. Ein Vertreter der Innung, fachlich beraten durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen im einschlägigen Gewerk, versucht in einem Ortstermin eine einvernehmliche Lösung zwischen dem Innungsmitglied und dessen Kunden herbeizuführen. Das geschieht kurzfristig, fachlich kompetent und vor allem kostengünstig. In aller Regel kommt man zu einem einvernehmlichen Ergebnis, bei dem die Beteiligten natürlich aufeinanderzugehen müssen. Ein förmliches Sachverständigengutachten wird nicht erstellt. Der Sachverständige gibt fachliche Hinweise, die sich im Protokoll oder im Vergleichstext wieder finden. Bei einem Streitwert bis zu 5.000 € muss jeder der Beteiligten lediglich 70 € bezahlen, bei einem Streitwert darüber pro Ortstermin 140 €. Dem gegenüber stehen die Kosten eines selbstständigen Beweisverfahrens allein mit Sachverständigengebühren selten unter 1.000 € (bisweilen sogar über 10.000 € wie in unserem Holzfenster-Fall und bisweilen sogar über dem Wert der strittigen Leistung), wobei man unter Umständen auch noch die Anwaltskosten des Kunden tragen muss.

Daher die dritte Erkenntnis: Schlichten ist besser als richten!

Dabei kommt noch hinzu, dass nach meiner Erfahrung Bauprozesse sehr häufig ohnehin mit einem Vergleich enden, nachdem die Gerichte den Parteien eindrucksvoll das weitere Prozessrisiko etwa in Form der Kosten des Sachverständigengutachtens in Erinnerung gebracht haben. Das gleiche Ergebnis hätte man mit einem Schlichtungsverfahren innerhalb von vier Wochen haben können. Vor Gericht und mit einem schriftlichen Gutachten geht das nicht unter einem Jahr.

Umgekehrt kann ich jedoch nur empfehlen, dass man sich direkt an den Anwalt seines Vertrauens wenden sollte, wenn man den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens durch den Kunden erhalten hat. Zwar herrscht in diesen Verfahren kein Anwaltszwang, aber die Durchdringung des Antragsschriftsatzes verlangt den geschulten Blick des Juristen und in vielen Fällen auch die Streitverkündung an den eigenen Vorlieferanten oder Subunternehmer. Sofern man nicht selbst hergestellte Teile einbaut, gibt es fast immer einen Ansatz, dass es sich eben nicht um Montagemängel sondern um Produktmängel handelt - genauso wie umgekehrt, wenn man seine selbst hergestellten Teile von einem Subunternehmer einbauen lässt.

Vierte Erkenntnis: Kommt es dennoch zu einem gerichtlichen Beweissicherungsverfahren sollte man dringend juristische Hilfe in Anspruch nehmen und gegebenenfalls dem eigenen Lieferanten oder Subunternehmer den Streit verkünden.

Gefährlich wird es, wenn einem selbst der Streit verkündet wird. Tritt man dem Streit nicht bei, erhält man keine weitere Information zum Gutachten und muss dann später mit eventuell sogar falschen Feststellungen und Rückschlüssen aus dem Gutachten leben. Diese erwachsen nämlich in Rechtskraft und können in einem Folgeprozess nicht mehr angegriffen werden!

Wann liegt ein Sachmangel vor? Wenn der Ist- vom Soll-Zustand abweicht. Und der Soll-Zustand definiert sich nach dem Vertrag und, wenn der nichts weiter hergibt, nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Diese beschreiben die Mindestanforderungen. In meinen Vorträgen zum Baurecht frage ich immer danach: Wann ist ein Gesellenstück mangelfrei und was erwarten die Kunden? Jeder Handwerker weiß nur zu gut, dass es 100 Punkte bei einem Gesellenstück so gut wie nie gibt. Mit der Note befriedigend, also etwa 75 Punkten, hat der Prüfling eine Arbeit mittlerer Güte abgeliefert. Dann müsste der Kunde eigentlich den vereinbarten Preis zahlen – oder nicht? Schnell kommen meine Zuhörer dann zur Erkenntnis, dass 75 Prozent den Ansprüchen des Kunden nicht genügen würde. Schließlich gelangen die Wohnhandwerker zur Auffassung, dass es einzelne Kunden gibt, die auch 100 % nicht akzeptieren würden, sondern 110 % verlangen.

Daher die fünfte Erkenntnis: 100 % sind bei handwerklichen Arbeiten kaum zu erreichen und wenn doch, genügen sie superkritischen Kunden nicht. Dann hilft nur eins: Sich damit trösten, dass dies nur alle paar Jahre vorkommt!

Und damit zurück zu unserem eingangs geschilderten Holzfenster-Fall: Man darf sich glücklich schätzen als Wohnhandwerker, wenn der Lieferant aufgrund langjähriger Geschäftsbeziehung neue Fensterflügel liefert und der Kunde sich mit der Erstattung eines Teils der Gutachterkosten zufrieden gibt…

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